Hund mit Vestibularsyndrom
Zusammen mit Assistentin Anna Horbelt befand ich mich auf dem Weg zu einem Einsatz als sie über einen Hund informiert wurde, der plötzlich nicht mehr laufen oder sich hinlegen konnte, stark hechelte und panisch war. Bereits am Telefon wurde die Besitzerin befragt, ob der Hund etwas aufgenommen hatte oder ob der Rüde Grunderkrankungen hat. Dies wurde seitens Besitzer verneint, jedoch bekäme er ein Herzmedikament und ein durchblutungsförderndes Präparat.
Bei Eintreffen war der 14jährige Labrador unkoordiniert und nicht sonderlich kooperativ. Auffällig war bereits beim Betreten der Wohnung, dass der Patient den Kopf schief hielt und einen sogenannten Nystagmus (unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen eines Organs, üblicherweise der Augen) zeigte. Beides sind unter anderem ein Anzeichen eines Vestibularsyndroms, einer Störung des Gleichgewichtsorganes, welches, wie der Name unschwer vermuten lässt, für das Halten des Gleichgewichts und den physiologischen Bewegungsablauf verantwortlich ist.
Um den Patienten überhaupt untersuchen zu können (er war nicht ganz so freundlich), musste er zunächst sediert werden. Da alle sonstigen Vitalparameter ohne besonderen Befund waren, wurde als nächstes ein Blick in die Ohren geworfen. Denn Ohrenentzündungen können ein Vestibularsyndrom hervorrufen, ebenso wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder Traumata. In diesem Fall spricht man in der Tiermedizin vom peripheren Vestibularsyndrom. Im Gegensatz dazu steht das zentrale Vestibularsyndrom welches auf Infektionen (z. B. Staupe, FIP, Toxoplasmose) und entzündliche Vorgänge (Enzephalitis) oder Läsionen im Bereich des Zentralnervensystems bzw. Hirnstamms zurückgeht. Auch die Ohren waren ohne besonderen Befund.
Da intracranielle Prozesse, also Vorgänge, die im Schädel ablaufen wie oben genannte Infektionserkrankungen oder eine Entzündung der Hirnhaut, nicht ausgeschlossen werden können, wurde der Patient nach der Weiterversorgung mittels Antiemetikum und Infusion in eine der Münchner Tierkliniken gebracht, wo die bereits begonnene Therapie weitergeführt wurde. Der Patient wurde stationär aufgenommen, auch um eine eventuelle weitere Diagnostik durchführen zu können (bspw. mit CT oder MRT, eine Punktion von Hirnwasser).
Aufmerksame Leser fragen sich nach der Einleitung: „Okay, dem Patienten ist schlecht, also bekommt er etwas gegen die Übelkeit (=Antiemetikum), wozu aber die Infusion“?
Kommt es zu einer Störung des Vestibular-Apparates kann man sich das in etwa so vorstellen als sei man mehrere Runden auf dem Karussell gefahren und stiege danach aus.
Bei älteren Hunden gibt es eine Sonderform des Vestibularsyndroms: das Geriatrische Vestibularsyndrom.
Dies ist auf degenerative Prozesse zurückzuführen. Als Auslöser hierfür werden Störungen des endolymphatischen Flusses durch Eindickung von Lymphflüssigkeit im Bereich der Bogengänge des Ohres, aber auch autoimmunologische Prozesse, Durchblutungsstörungen sowie medikamentös bedingte Vergiftungen des Innenohrs diskutiert. Die Endolymphe ist eine klare kaliumreiche lymphatische Flüssigkeit, die die Hohlräume des häutigen Labyrinths im Innenohr ausfüllt. Die Aufgaben der Endolymphe bestehen darin, die Umwandlung mechanischer Schallwellen und die Umwandlung von Kopf- bzw. Körperbeschleunigungen in elektrische Nervenimpulse zu ermöglichen. Ist die Endolymphe verdickt, so muss versucht werden, sie wieder zu verflüssigen und so den Patienten wieder auf die Beine zu bringen. Die Heilungschancen sind bei einem geriatrischen Vestibularsyndrom mit „gut“ zu bezeichnen, jedoch kann es zu Rückfällen kommen. Wollen wir hoffen, dass der Patient sich dauerhaft erholt.