Tagebuch einer Wildtierassistentin
Von Franziska Baur, Dezember 2016. An einem nebligen Herbstmorgen betrete ich freudig die Dienststelle der Tierrettung in der Herzogstraße 127. Seit September ist dies meiner neuer Arbeitsplatz, wo ich als Biologin und Marketingkraft meine Fähigkeiten einbringen darf. Nachdem ich mich bisher eher mit Gorillas, Löwen und Elefanten beschäftigte, sind nun hilfsbedürftige, einheimische Wildtiere mein Aufgabengebiet.
Neben einem jungen Eichhörnchen wartet ein bereits untersuchtes (und von Parasiten befreites) Igeljungtier auf mich, mit einem viel zu geringen Gewicht von 200 Gramm. Beide Patienten werden bereits mit einer Rotlichtlampe gewärmt, und der kleine „Igel-Nimmersatt“ verlangt umgehend nach mehr Katzenfutter. Später an diesem Tag fahre ich die zwei Schützlinge weiter in das Tierheim Riem, wo es zusammen mit vielen anderen kleinen Igeln behütet und schließlich wieder in die Freiheit entlassen wird.
Diesen Herbst hatten wir aufgrund des späten Sommers besonders viele junge Igelfälle, mit äußerst kritischen Gewichten von 100-250 Gramm. Wenn genügend Nahrung zur Verfügung steht, kann sich ein Stachelhäuter bis zu 150 Gramm pro Woche Fettdepot für den Winter anfressen. Es ist Vorsicht geboten, Tiere aus zwar gut gemeinter, aber falsch verstandener Tierliebe aus freier Wildbahn zu entnehmen. Leider sind die vorhandenen Auffangstationen in München derzeit heillos überfüllt und nehmen nur noch akute Notfälle auf. Somit raten wir besorgten Anrufern bei gesunden Jungigeln über 300 Gramm häufig zu einer artgerechten Zufütterung (Katzenfutter, ungewürztes Rührei etc.) im bekannten Habitat und zum Anbieten eines Überwinterungsschutzes mit ungehindertem Eingang für das Tier. Trotz allem sind in dieser Jahreszeit Igel unsere häufigsten Patienten im Wildtierbereich, derer sich unsere Tierärzte und Wildtierassistenten stets mit vollem Einsatz widmen, um sie auf den kommenden Winter vorzubereiten.
Eine Taube ist schwer verletzt
Das Wildtiertelefon klingelt in seiner bekannten Melodie: „Tierrettung München, Baur am Apparat – was kann ich für Sie tun?“; „Es geht um eine Taube, sie läuft schon eine ganze Weile in meinem Garten auf und ab, und es sieht so aus als hätte sie einen offenen Brustkorb...“.
Wildkaninchen an Myxomatose erkrankt
Kaum kam das Tier nach der ersten Spritze zur Ruhe, rührte sich erneut das Telefon, und ein besorgter Anrufer schilderte mir, wie sich ein Wildkaninchen im Olympiapark furchtbar zu quälen scheint. Ich ließ mir das äußere Erscheinungsbild beschreiben und erahnte bereits einen weiteren Fall von Myxomatose – auch als „Kaninchenpest“ bekannt. Dies ist eine Viruserkrankung, die fast ausschließlich unter Haus- und Wildkaninchen auftritt. Die Übertragung findet am häufigsten durch blutsaugende Insekten wie Stechmücken und Flöhe statt. Eine erhöhte Insektenpopulation im Herbst (wie sie 2016 durch den langen Sommer auftrat) führt häufig zu einer Epidemie.
Als ich schließlich zu Fuß mitten im Olympiapark eintraf, wartete ein völlig vom Regen durchnässter junger Mann vor einer Mülltonne auf mich, wo er das blutverschmierte Wildkaninchen sicherte, bis Rettung kam. Wie bereits vermutet, reichte ein kurzer Blick auf die vollkommen zugeschwollenen Augen des armen Tieres aus, um den Myxomatoseverdacht zu bestätigen. Auch hatte es sich aufgrund des starken Juckreizes an manchen Stellen schon völlig kahl gekratzt, und die einzige Hilfe war wieder einmal eine rasche Erlösung. Spaziergänger, welche das Ganze beobachteten sowie der tapfere Retter waren froh, dass das Tier nicht länger einsam leiden musste und zumindest in den letzten Lebensstunden noch jede Menge Liebe durch diesen aufmerksamen Tierfreund erfahren durfte.
Nachdem ich das noch erstaunlich agile Tier einfing, fuhr ich es direkt zur Dienststelle, wo Kollegin Dr. Diels und ich kaum unseren Augen trauten: Dem armen Tier ragten die sich noch im Kropf befindlichen Buchecker durch einen circa drei cm langen Spalt aus der Brust heraus. Vermutlich zog sich die Taube die schlimme Verletzung beim Anfliegen auf einen spitzen Gegenstand selbst zu. Solch eine gravierende Wunde, die Öffnung des kompletten Brustkorbs, kann nicht mehr verheilen, und somit war eine rasche Euthanasie der einzig richtige Weg, um das Tier von seinem aussichtslosen Leid zu erlösen.
Viele verletzte Wildvögel …
Wieder unterwegs im roten Tierrettungs- Ambulanzfahrzeug rief mich die Polizei aus Freimann an: „Hier sind zwei junge Mädels auf dem Revier, welche ganz verzweifelt Hilfe suchen, da draußen wohl eine verletzte Amsel liegt“. „Schon auf dem Weg.“
Dort angekommen, entpuppte sich die vermeintliche Amsel als Goldhähnchen und war schon wieder auf den Beinen, jedoch flugunfähig. Die Kinder durften sich kurz verabschieden, bevor ich mich zusammen mit dem benommenen Tier zurück zur Dienststelle machte. Dr. Horvath untersuchte die Schwingen und war guter Dinge, dass das fragile Vögelchen bald wieder in die Freiheit entlassen werden konnte. Ein erneuter Anruf handelte von einem Greifvogel, welcher mit einem hängenden Flügel nähe eines Supermarktes umherirrte. Sofort machte ich mich mit Tierärztin Dr. Wenus auf den Weg, und wir konnten das bereits geschwächte Sperberweibchen ohne Kescher leicht einfangen. Nach Untersuchung des Flügels konnte ein Bruch festgestellt werden, und somit galt es, das Tier schleunigst in die Vogelklinik Oberschleißheim zu bringen. Dort hat das Tier gute Heilungschancen und sogar Aussicht auf eine erneute Auswilderung. Nun noch eine Fahrt ins Tierheim Riem (um Igel und Hörnchen dort abzuliefern), und dann war es bereits höchste Zeit, um den „Tier-Sanka“ und mich wieder zurück zur Dienststelle zu kutschieren. Dort angekommen, müssen alle Formulare wie z.B. das Wildtierprotokoll auf seine Vollständigkeit überprüft und ergänzt, sowie in unser Computerprogramm übertragen werden. Auch muss bei direktem Kontakt mit Wildtieren auf eine strikte Hygiene geachtet werden, und somit die Hände desinfiziert sowie die Kleidung gewechselt werden. So, Schichtwechsel und Feierabend für mich. Was für ein erlebnisreicher Tag – ich freue mich schon auf die nächsten Tierabenteuer!
Unsere einheimische (und nicht minder faszinierende) Fauna liegt mir genauso am Herzen wie die exotische Tierwelt. Deren Wertschätzung und Schutzbedürftigkeit kann ich während meiner Arbeit bei der Tierrettung in einigen Tierfreunden dort draußen wiedererkennen. Das gibt mir Hoffnung, dass trotz der starken Urbanisierung und Veränderungen der Lebensräume, viele dieser Tierarten überleben und ihre eigene Nische finden werden, wenn wir sie als Mitlebewesen akzeptieren und schützen.
Am Wildtiertelefon stehen wir Ihnen für Fragen zur Verfügung und bieten Ihnen eine kostenlose Beratung in Wildtierangelegenheiten.