Wenn die moderne Bauweise zum Verhängnis wird
Als die Angestellten eines Großraumbüros morgens mit ihrer Arbeit begannen, nahmen sie ein verdächtiges Geräusch in unmittelbarer Nähe eines Fensters wahr, welches aus einem bestimmten Bereich der Wand zu kommen schien. Beim genaueren Hinhören stellte es sich als wiederholtes, leises Kratzen und Scharren dar.
Von Dr. Sylvia Haghayegh. Schnell war allen klar, dass es sich bei diesem Geräusch um irgendein Tier handeln könnte, das sich hinter der Innenverkleidung der Wand befinden müsse. Hierbei sei erwähnt, dass es sich bei diesem Gebäude um ein modernes mehrstöckiges Bürogebäude handelte, vor deren Fenster Jalousien angebracht waren.
Schnell war man entschlossen, der Geräuschquelle auf den Grund zu gehen. Da die Innenseite der Wand mit einer stabilen Kunststoffverschalung versehen war, stellte sich nun das Problem, wie dieser Wandbereich geöffnet werden könnte. Der zwischenzeitlich herbeigeeilte Inhaber des Unternehmens ergriff sofort die Initiative und suchte nach passendem Werkzeug. Da jedoch vor Ort keine geeigneten Werkzeuge vorhanden waren, holte er sogar von sich Zuhause Bohrmaschine, Säge, Astschere und Zangen. Damit gelang es, ein ca. 20x30 cm. großes Stück aus der Innenverkleidung herauszulösen, um in den dahinterliegenden Hohlraum zu gelangen. Die Aktion gestaltete sich schwieriger als erwartet und dauerte gut einen halben Tag lang. Der Kunststoff des Baumaterials war so hart und stabil, so dass er selbst mit einer Astschere kaum zu schneiden war. Nach einigen Stunden Arbeit gelang es jedoch, den Kunststoff so freizulegen, dass man den gelben Schnabel eines Vogels erkennen konnte. Das arme Tier musste wohl durch einen Spalt in der Fassade direkt in sein Gefängnis gestürzt sein.
Da man weder die Art noch Größe des Vogels abschätzen konnte, noch wissen konnte, ob das Tier evtl. verletzt war, wurde nun die Tierrettung gerufen. Am Einsatzort angekommen, nahm ich aus dem Wagen vorsichtshalber Transportkäfig, Kescher und dicke Lederhandschuhe mit. Vor Ort stellte ich fest, dass es sich um einen Star handelte. Mein erster Eindruck war, dass er trotz aller Strapazen, erstaunlich munter wirkte. Durch nochmaliges Anheben des Verkleidungsteiles konnte ich nun das Tier erreichen. Mit einem kleinen Handtuch konnte ich dem Vogel ergreifen und untersuchen. Erfreulicherweise war der kleine Kerl putzmunter und wies keinerlei Verletzungen auf. Üblicherweise ist unser Vorgehen dann bei Wildvögeln folgendermaßen: Man setzt die Vögel am Boden, vorzugsweise auf einer Wiese, ab und beobachtet dann, ob sie zum Fliegen fähig sind. Doch beim Hineinsetzen in den Transportkäfig, noch bevor ich den Deckel schließen konnte, nutzte der Star die Gunst der Stunde, er entwischte aus dem Käfig und flog im Großraumbüro umher. Um ihn nach der langen Befreiungsaktion jetzt vor evtl. Aufprallschäden gegen die Glasscheiben zu schützen, beschloss ich sofort, die Fenster öffnen zu lassen. Diese Chance nutzte er auf Anhieb und gelang so ins Freie. Dieser Befreiungsversuch wird wohl allen Angestellten dieses Büros noch lange in froher Erinnerung bleiben.