Marder in der Klemme
Eigentlich konnte ich es zunächst gar nicht glauben, was mir eine Anruferin früh am Morgen in ihrem Notruf berichtete: Aufmerksam geworden durch lautes Krähengekrächze vor ihrem Vorgarten hatte sie nach der Ursache gesehen und war nach draußen gegangen. Sie entdeckte, eingeklemmt unter einer der Holzlatten ihrer Gartentüre, einen Marder, der bereits das Interesse der aufflatternden Krähenschar geweckt haben musste und in dieser Situation zu einer leichten Beute geworden wäre.
Von Dr. Sylvia Haghayegh. Als ich kurz darauf am Einsatzort eintraf, musste ich feststellen, dass sich der kleine Kerl bereits in einem akut kritischen Zustand befand. Der hintere Körperteil war so fest zwischen Boden und Gartentürlatte eingeklemmt, dass die Blutversorgung für die hinteren Extremitäten und auch inneren Organe mit hoher Wahrscheinlichkeit stark eingeschränkt oder abgeschnürt sein musste. Auch die apathischen Reaktionen auf meine ersten Untersuchungen hin, ließen den Schluss zu, dass er sich in einem akut lebensbedrohlichen Zustand befand (Körpertemperatur 34,5°C). Ein Überleben des kleinen Kerls schien in dieser Phase beinahe ausgeschlossen. Wenn man weiß, wie schnell, grazil und sicher sich diese Tiere mit ihren eleganten langgestreckten Körpern bewegen, ist es kaum zu glauben, wie das Tier wohl in diese missliche Situation gekommen sein konnte.
Trotz aller gesundheitlichen Risiken entschloss ich mich, ihn durch eine leichte Narkose ruhig zu stellen. Erhofft hatte ich mir, ihn so, mit Ziehen und Schieben, aus dieser Lage befreien zu können. Der Körper bewegte sich jedoch kein Bisschen, er war unter der Holzlatte regelrecht eingequetscht. Jetzt musste erneut gehandelt und zu „Plan B“ gegriffen werden: Die Gartentüre musste ausgehängt oder zumindest angehoben werden. Ein zwischenzeitlich herbeigeeilter handwerklich begabter Nachbar sah nur durch Herausklopfen der recht festsitzenden Bolzen der Türscharniere eine Möglichkeit, die Gartentüre etwas anzuheben und damit das kleine Wesen zu befreien.
Die Befreiungsaktion lief ohne größere Probleme ab. Im Notarztwagen konnte der Zustand des kleinen Patienten nach weiterer, eingehender Untersuchung und Infusion-, Schmerz- und Schockbehandlung weiter stabilisiert werden. Es handelte sich um ein junges kräftiges Marder-Männchen mit auffallend gepflegtem Fell. Schon nach kurzer Zeit verbesserte sich der Zustand unseres Patienten derart erfreulich, dass er durchaus „bissig“ seine Kondition unter Beweis stellte. Auch für mich als erfahrene Tierärztin sind solche Erfolge immer wieder an Wunder grenzende Erlebnisse. Wie schade es um diesen kleinen Marder gewesen wäre, stellte er übrigens unter Beweis, als er, für seine Entlassung bereit, den Ort des Geschehens in einem solchen Tempo verließ, dass es nicht gelang, noch ein Erinnerungsfoto zu schießen.