Junger Waldkauz in der Patsche
An einem eisig kalten Nachmittag erhielt ich einen Notruf. Die Anruferin, selbst Mitglied der aktion tier-tierrettung münchen, berichtete von einem schwachen jungen Waldkauz, der mitten im Biergarten säße und unserer Hilfe bedürfe.
Von Dr. Sylvia Haghayegh. Vor Ort angekommen, sah ich ein geschwächtes Waldkauzjunges, welches mitten im Biergarten in einem Park auf der Lehne eines Stuhles saß. Mit Kescher und dicken Lederschutzhandschuhen fing ich das Junge ein. Der schwache kleine Waldkauz war durchnässt und unterkühlt. Nach der Erstuntersuchung setzte ich ihn zum Aufwärmen in einen Pappkarton in unser Dienstfahrzeug. Da er keine Verletzungen aufwies, wollte ich mir zuerst mal seinen Lebensraum näher betrachten, bevor ich ihn vorschnell aus seiner gewohnten Umgebung und aus seinem Familienhalt raus reiße.
Die Situation im Park sah folgendermaßen aus: Als Brutstätte bieten die Baumhöhlen der alten Kastanienbäume in diesem Park den erwachsenen Waldkäuzen als Höhlenbrüter gute Voraussetzungen. Nach einer Brutdauer von 28-30 Tagen schlüpfen die Jungen. Diese „Nestlinge“ werden in der Baumhöhle von der Mutter versorgt. Ab einem Alter von 4-5 Wochen (noch nicht flugfähig, auch „Ästlinge“ genannt), erkunden sie die Umgebung und sitzen überwiegend am Rande des Nestes auf den Ästen. Nach ersten Flugversuchen landen sie dann unten am Boden. Im Wald finden diese Jungen nach solch einem Absturz im Unterholz sofort Unterschlupf. Dort verweilen sie einige Wochen und werden noch von den Eltern weiter versorgt. Wenn die Rinde des Baumes breite, tiefe Risse hat und sehr rau und griffig ist, dann können die Jungkäuze auch an der Rinde hochklettern und wieder ins Nest gelangen (dies hat Hr. Willi Holzer schon des Öfteren beobachtet).
Hier in diesem Park jedoch sind die Umgebungsvoraussetzungen für die Jungvögel nicht so optimal. Hier fehlt das Unterholz. Am Baumstamm in der direkten Umgebung des Nestes fehlt das Gebüsch. Hier finden die abgestürzten Ästlinge keinen Unterschlupf und können sich nicht verstecken. Zudem waren die Witterungsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt extrem schlecht. Es schneite und es war eisig kalt. Auch hatten die Bäume noch kein Laub, so dass diese den Jungkäuzen auf den Ästen und am Nest keinerlei Versteck bzw. Sichtschutz bieten konnten. Beim Besichtigen der Brutstätte entdeckten wir einen weiteren Jungkauz (Ästling) oben an der Baumhöhle. Dieser wurde mehrmals von Rabenkrähen attackiert und flog dann ebenfalls runter. Dieser Jungvogel war noch schwächer, als der zuvor untersuchte, er zeigte kaum Gegenwehr. Wegen der schlechten Witterungsund Umgebungsbedingungen und Angesichts dessen, dass die Jungkäuze so geschwächt und in einem schlechten Allgemeinzustand waren, nahm ich beide mit und brachte sie in die Vogelklinik nach Oberschleißheim.
Eines der beiden Jungkäuze hat sich nach der Erstbehandlung und dem Aufpäppeln von Herrn Holzer erstaunlich schnell erholt und konnte schon nach einigen Tagen zurück zu seinen „Kauzeltern“ in die Freiheit entlassen werden. Der zweite Jungkauz musste deutlich länger gepäppelt und gepflegt werden, bis er wieder in die Freiheit entlassen werden konnte.
Gerade wenn sich geschwächte Jungtiere schnell erholen, ist es umso wichtiger, sie wieder in die Obhut ihrer Eltern zu geben. Zum Überleben in der freien Natur sind die jungen Greif- und Eulenvögel auf die Nähe und Fürsorge ihrer Eltern angewiesen, denn das „Erlernen des Überlebens in der freien Natur“ von den Elternvögeln kann ein Pfleger in einer Auffangstation den Jungen nicht in solch einem Maße bieten. Dieses Unterfangen ist weit schwieriger und zeitaufwendiger als allgemein angenommen. So ist es für Herrn Holzer enorm wichtig und seine Bitte, dass die Finder dieser „Jungen“ ihm den Fundort genau beschreiben und ihm auch eine Telefonnummer für evtl. Rückfragen hinterlassen.
In der Klinik für Vögel in Oberschleißheim (Universitätsklinik der LMU-München) wurden die jungen Greif-und Eulenvögel gründlich untersucht und behandelt (z.B. routinemäßige Untersuchung des Kotes auf Endoparasiten und Untersuchung des Gefieders auf Exoparasiten). Aufgepäppelt wurden sie dann von Herrn Willi Holzer, der in Freising ehrenamtlich eine Greifvogel- und Eulenauffangstation betreibt. Viel zu oft werden uns vermeintlich hilfe bedürftige Jungtiere gemeldet. Durch ihr zartes putziges Äußeres wird in uns das Bedürfnis geweckt, ihnen helfen zu müssen. Es muss in jedem einzelnen Fall abgewogen werden, ob eine Hilfe nötig ist und wie diese aussehen kann, denn schnell ist hier auch dem Guten zu viel getan.