Gefahr durch Kippfenster
Die Sonne strahlte vom Himmel als bei uns um 10.30 Uhr das Notruftelefon klingelte. Eine Anruferin aus Fürstenried-West, selbst Mitglied der Tierrettung, bat uns um Hilfe für die Behandlung einer Katze, die im Kippfenster steckte und nun an den Hinterbeinen gelähmt sei.
Von Dr. Sylvia Haghayegh und Sebastian Pietsch. In solchen Fällen kommt es häufig zum sogenannten „Kippfenster Syndrom“: Die Katze zwängt sich durch das gekippte Fenster und bleibt mit dem Becken hängen. Sie versucht sich zu befreien, rutscht dadurch aber nur noch tiefer in den Spalt hinein. Bauch, Hüfte und Hinterbeine werden eingeklemmt und nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Zudem kommt es zu Quetschungen von Muskeln, Organen und Nerven. Je nachdem wie lange die Katze eingeklemmt war, kann es zu bleibenden Schäden kommen.
Das Kätzchen in Fürstenried-West hatte Glück im Unglück und kam ohne bleibende Schäden davon. Vor Ort angekommen, schilderte die Anruferin die Situation folgendermaßen. Durch die jämmerlichen Hilfeschreie einer Katze seien sie und einige Anwohner auf die Katze aufmerksam geworden. Die Besitzer hatten die Balkontüre gekippt und das Kätzchen versuchte, sich dadurch auf den Balkon zu zwängen. Als sie das Tier in der Türe feststeckend sahen, kletterte einer der Männer über die Balkonbrüstung und befreite das Kätzchen mit einem beherzten Griff aus dem Türspalt. Doch noch bevor die Retter weiteres Vorgehen besprechen konnten, schleppte sich das gelähmte Kätzchen unter den Balkon und versteckte sich dort. Der Balkon befand sich im Erdgeschoss, ca. 20 cm über dem Boden. Direkt darunter befand sich ein Fenster zum Keller. Vermutlich hatte sich die Katze dorthin in den Fensterschacht geflüchtet. Da sich niemand in den flachen Zwischenraum unter dem Balkon zwängen konnte, galt es nun, irgendwie in den Keller zu gelangen, das passende Fenster zu finden und dieses zu öffnen. Die Anruferin alarmierte den Hausmeisterdienst, da einige Betriebsräume im Keller nur über einen Zentralschlüssel zu öffnen waren. Nach kurzer Zeit kam der Hausmeister mit seinem Kollegen und zu zweit kamen sie uns tatkräftig zu Hilfe. Sie öffneten sämtliche Räume und organisierten eine Leiter und diverse Werkzeuge zum Öffnen der Fenster. Nach dem Ausschlussverfahren standen wir nun vor einem geschlossenen Kellerabteil, hinter dessen Fenster sich die Katze vermutlich befinden musste. Weitere Zeit verging bis die Besitzerin des Abteils gefunden war. Ohne zögern öffnete sie uns das Abteil und tatsächlich saß das Kätzchen völlig verängstigt im schmutzigen Schacht des Fensters. Nachdem das verrostete Fenstergitter aufgehebelt war, konnten wir die „Kleine“ endlich befreien. Es blieben keine bleibenden Schäden. Im Einsatzwagen untersuchten wir anschließend das Kätzchen. Es war noch im leichten Schockzustand und zeigte eine geringe Lähmung des rechten Hinterbeines. Die von der Anruferin beschriebene vollständige Lähmung der Hinterläufe bestätigte sich Gott sei Dank nicht. Vermutlich waren die Blutgefäße nicht lange genug gequetscht, so dass die Durchblutung der Hinterbeine wieder stattfinden konnte.
Dieses Phänomen können wir übrigens auch bei uns selbst beobachten, wenn uns ein Arm oder eine Hand „eingeschlafen“ ist. Wenn wir z.B. auf einer abgeknickten Hand einschlafen, wachen wir mit einem nadelstichartigen Kribbeln und mit Schmerzen auf, und die Hand ist für einen kurzen Moment gefühllos und fast bewegungsunfähig. Vermutlich hat sich die Katze in diesem Zustand (gefühllos in den Hinterbeinen) vom Balkon geschleppt und im Kellerfenster versteckt. Zur weiteren Beobachtung und genaueren Untersuchung brachten wir sie in die Chirurgische und Gynäkologische Tierklinik der LMU wo sie weiter stabilisiert und behandelt wurde. Da das Kätzchen nur kurze Zeit im Kippfenster eingeklemmt war, erholte es sich sehr schnell und konnte bereits am übernächsten Tag ohne bleibende Schäden entlassen werden. Wir danken an dieser Stelle ganz herzlich all den Helfern, die uns bei diesem Einsatz so tatkräftig unterstützt haben und wir bitten Sie, liebe Leser und Katzenbesitzer, Ihr Fenster mit passendem Material aus dem Fachhandel zu sichern oder gegebenenfalls dieses beim Verlassen des Hauses zu schließen. Solche Fälle gehen meist weniger glimpflich aus als oben beschrieben, nicht selten führen sie zu einer Querschnittslähmung oder enden im schlimmsten Falle mit dem qualvollen Tod des Tieres.