Krampfanfälle bei Hunden und Katzen
Charly ist ein Hund wie aus dem Bilderbuch. Brav, treu und ein wenig verspielt. Den Tierarzt kennt er nur von den alljährlichen Impfterminen. Doch heute Nacht ist etwas anders. Um drei Uhr in der Früh durchstößt ein lautes Wimmern die nächtliche Ruhe. Der aufgeschreckte Besitzer sieht seinen geliebten Hund bewusstlos auf dem Boden liegen.
Krampfend auf der Seite. Charly zappelt mit allen vier Gliedmaßen und aus seinem Maul läuft schäumender Speichel. Sein Herrchen ist ratlos und fürchtet um das Leben des Tieres.
Situationen wie diese sind häufig Anlass für Notrufe bei der Tierrettung. Der Spuk ist meistens schon vorbei bis der Tierarzt eingetroffen ist. Epileptiforme Krampfanfälle dauern selten länger als eine Viertelstunde. In der darauf folgenden Orientierungsphase ist das Tier in seinem Verhalten verändert. Viele Patienten zeigen nach einem Anfall Probleme mit der Koordination, wirken weggetreten, scheinen nichts mehr zu sehen oder verkriechen sich ängstlich in ruhige Ecken der Wohnung. Schätzungsweise ein Prozent aller Katzen und fünf Prozent aller Hunde erleiden im Laufe ihres Lebens einen epileptiformen Krampfanfall. Erst wenn diese in einer gewissen Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum auftreten, spricht der Mediziner vom Krankheitsbild der Epilepsie. Sie ist die häufigste, chronisch neurologische Erkrankung bei Mensch und Tier. Sie kann angeboren oder erworben sein. Das angeborene Leiden tritt bereits im jugendlichen Alter des Tieres zum Vorschein und beruht auf, von Geburt an, bestehenden Anomalien des Gehirns. Erworbene Epilepsien können sich hingegen in jedem Lebensalter des Tieres manifestieren. Die Ursachen hierfür sind sehr vielfältig und reichen von Verletzungen, Entzündungen und Tumoren des zentralen Nervensystems bis hin zu Vergiftungen. Auch Entgleisungen des Stoffwechsels oder kardiologische Erkrankungen können Ohnmachtsanfälle auslösen, welche einer epileptiformen Symptomatik sehr ähnlich sein können. Ein Krampfanfall, gleich welcher Ursache, erfordert immer eine gründliche neurologische Untersuchung durch einen Tierarzt. Hierbei kann der Besitzer wertvolle Hinweise für die genaue Diagnose des Leidens liefern. Beispielsweise durch eine möglichst detaillierte Beschreibung des Vorfalls. So können epileptiforme Anfälle auf einzelne Körperregionen begrenzt sein (fokal) oder den ganzen Organismus (generalisiert) betreffen. Patienten können das Bewusstsein verlieren oder wach bleiben. Oft sind auffällige Verhaltensänderungen, wie im Kreis umherlaufen, Fliegenschnappen oder Schwanzbeißen zu beobachten. All diese Informationen helfen dem Tierarzt die Lokalisation und das Ausmaß der Krankheit zu erkennen. Erst dann kann eine zielgerichtete Therapie zur Linderung des Leidens eingeleitet werden.
Der Status Epilepticus kann sich zu einer lebensbedrohlichen Situation entwickeln. Hierunter versteht man eine Serie von Anfällen, bei denen der Patient zwischen den Anfällen nicht zur Erholung kommt. Dieser Zustand ist ein absoluter Notfall. In einer solchen Situation sollte möglichst schnell ein Tierarzt informiert werden, der dem Tier Notfallmedikamente verabreichen kann. Als Besitzer sollte man Maßnahmen treffen, damit sich das Tier während des Anfalles nicht verletzt. Es empfiehlt sich daher Gegenstände, an denen sich der Patient verletzen könnte, aus dem Umfeld zu räumen. Versuche, das Tier mit Gewalt zu beruhigen, sollten unterlassen werden, da hierbei auch für den Besitzer eine nicht unerhebliche Verletzungsgefahr durch das krampfende Tier entstehen kann.
Wenn bei einem Tier Krampfanfälle auftreten, erfordert dies immer eine gründliche Untersuchung durch einen Tierarzt. In vielen Fällen ist es möglich, wiederkehrende Anfälle durch spezielle Medikamente zu unterdrücken. Epilepsien sind zwar nur selten heilbar, aber es ist trotzdem möglich dem Patienten ein schönes und anfallsfreies Leben zu bieten.
Interview mit Frau Prof. Potschka
Prof. Dr. Heidrun Potschka vom Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie der Tierärztlichen Fakultät München erforscht seit vielen Jahren die Entstehung und Therapie von Epilepsien bei Tieren.
Wie entsteht ein Anfall im Gehirn?
Dr. Potschka: Der Entstehung von Anfällen liegen sehr komplexe Veränderungen im Gehirn und an den betroffenen Nervenzellen zu Grunde. Vereinfacht dargestellt entsteht ein Krampfanfall, wenn hemmende Mechanismen im Gehirn im Verhältnis zu aktivierenden Mechanismen zu schwach ausgeprägt sind. In Folge zeigen zahlreiche Nervenzellen in einer Art Netzwerk eine synchronisierte Aktivität. Die Art der betroffenen Gehirnregionen bestimmt dabei die Symptomatik.
Welche Maßnahmen sollte ein Tierbesitzer ergreifen, wenn er den Verdacht hat, dass sein Tier einen epileptischen Anfall erleidet?
Dr. Potschka: Der Tierbesitzer sollte bei erstmalig beobachteter Krampfaktivität in jedem Fall einen Tierarzt aufsuchen, damit eine diagnostische Abklärung erfolgen kann und gegebenenfalls eine gezielte Therapie eingeleitet werden kann. Während des Krampanfalles kann versucht werden, den Patienten so weit wie möglich sicher zu lagern, damit Verletzungen durch Anstoßen verhindert werden. Der Besitzer sollte beim Anfassen des Tieres vorsichtig sein, da der Patient bei schweren Krampanfällen nicht bei Bewusstsein ist und durch die motorische Aktivität ein unwillkürliches Zubeißen möglich ist. Auch in der frühen Phase nach dem Krampfanfall können Tiere unter Umständen anders reagieren als gewohnt. Wie bereits erwähnt, stellt eine länger anhaltende Krampfaktivität in jedem Fall eine Notfallsituation dar, die ein rasches therapeutisches Handeln erfordert.
Gibt es Anzeichen, die darauf hindeuten können, dass ein Tier demnächst einen Anfall erleiden wird?
Dr. Potschka: Bei einer Untergruppe von Patienten fallen vor Beginn der Anfallsaktivität Verhaltensänderungen auf, die für den individuellen Patienten charakteristisch sind. Bei genauer Beobachtung lässt sich in diesen Fällen unter Umständen das Auftreten eines Krampfanfalles vorhersagen. Interessanterweise werden in der Humanmedizin in umgekehrter Weise Hunde darauf trainiert, Vorboten eines Krampfanfalles bei Ihrem Besitzer wahrzunehmen und diesen rechtzeitig zu warnen. Bislang ist allerdings sehr umstritten, ob dies in zuverlässiger Weise möglich ist.
Warum liegt bei anhaltender Krampfaktivität eine Notfallsituation vor?
Dr. Potschka: Bei anhaltender Krampfaktivität verschlechtert sich die Therapierbarkeit auf Grund von Veränderungen im Gehirngewebe zunehmend, das heißt, es kann eine Situation entstehen, in der es nicht mehr gelingt die Anfallsaktivität mit Pharmaka zu unterdrücken. Nicht zuletzt kann eine anhaltende Krampfaktivität zum Tod des Tieres führen, da eine Beeinträchtigung der Atemfunktion sowie der des Herz-Kreislaufapparates eintreten können.